Im August haben die Fraktionen von SPD, CDU und FDP ein gemeinsames Konzept Hannoversche Innenstadt vorgelegt. Die Vorsitzenden der Fraktion Bündnis90/Die Grünen +Volt+Piraten im Rat der Landeshauptstadt Hannover Dr. Elisabeth Clausen-Muradian und Dr. Daniel Gardemin erklären in einem Statement die Position der Fraktion dazu:
Die informelle Koalition von SPD, CDU und FDP hat deutlich gemacht, dass ihre Sammlung von verschiedenen Punkten und Ideen das bestehende, nach wie vor gültige und demokratisch im Rat legitimierte Innenstadtkonzept 2035 ersetzen soll. Bei Letzterem handelt es sich um ein integriertes Gesamtkonzept, das die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit abbildet und das in einem aufwändigen und mehrstufigen Prozess entstanden ist, an dem mehr als 100 Stakeholder sowie über 1000 Bürger*innen der Stadt Hannover aktiv mitgearbeitet haben. Der Respekt vor dem Input, der investierten Zeit und der eingebrachten Expertise von so vielen Menschen, Interessenvereinigungen, Verbänden, Vereinen und den verschiedensten Gruppen verbietet es, das bestehende Konzept einfach mal eben so vom Tisch zu fegen. Das gilt umso mehr, wenn eine Fraktion involviert ist, die damals den Beteiligungsprozess vollumfänglich mitgetragen und entsprechend im Rat abgestimmt hat.
Und klar ist auch: Dieses vorliegende neue Papier basiert auf einer reinen Schreibtischtat und ohne den Input wichtiger Stakeholder. Das werten wir als wesentlichen Systemfehler. Und nicht nur wir – denn die weitreichenden kritischen Reaktionen in den Kommentarspalten sowie u.a. vom ADAC, der Citygemeinschaft, dem Staatstheater oder dem Regionsdezernenten für Verkehr weisen in dieselbe Richtung.
Gute Ideen sind keine Frage von Entweder-Oder
Was aber auch stimmt: Es gibt durchaus einige sinnvolle Punkte in der Ideensammlung von SPD, CDU und FDP. Dazu gehören zum Beispiel die Punkte 31 (Gelebte Inklusion – Barrierefreiheit in der City), 53 (Leih- und Reparaturstationen für Fahrräder), 54 (zusätzliche Fahrrad-bügel), 60 (Ausbau der Park-and-Ride-Plätze), 68 (Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge), 79 (Entsiegelungen und Begrünungen) oder 77 (zusätzliche Trinkwasserbrunnen).
Über die konkrete Umsetzung gehen wir gerne mit den drei Fraktionen ins Gespräch, um gemeinsam einen Mehrwert für Hannover zu schaffen. Bei diesen Vorhaben ist es völlig unnötig, ein bestehendes Konzept gegen ein anderes auszuspielen. Die zukunftsfähige Gestaltung unserer City ist kein Wettbewerb von Entweder-Oder, sondern gute demokratische Ratsarbeit von Nicht-Nur-Sondern-Auch.
Andere Punkte in der Sammlung sind sowieso Konsens oder gelebte Verwaltungspraxis oder in einem eingebrachten Antrag bereits enthalten. Das betrifft u.a. die Punkte 3 (Nutzungsmix für die City Arbeitsplätze und Wohnraum Schaffen), 6 (Keine Subventionierung insolventer Kaufhäuser), 36 (Prinzenstraße), 39 (Umgestaltung Opernplatz), 55 (Verbindliche Regeln für E-Scooter) oder 59 (Vorrangschaltung des ÖPNV beibehalten).
Hier danken wir den drei Fraktionen, dass sie uns mit ihrem Papier die Gelegenheit geben, den Bürger*innen die gute Arbeit von Verwaltung und Politik nochmal vor Augen zu führen.
Verkehrspolitik für Alle, nicht für privilegierte Wenige
Bei den autozentrierten Punkten wie z.B. 4 (Parkgebührenreduzierung), 37 (Parkraum und Stadtgrün werten die Karmarschstraße auf), 56 (oberirdisches Parken) oder 58 (Leistungsfähigkeit des City-Rings) – also denen, die sich mit dem Thema Verkehr befassen, sehen wir hingegen deutlichen weiteren Abstimmungsbedarf im Rat und in der Stadtgesellschaft. Wir finden hier ideologisch aufgeladene Pläne für eine Geisterfahrt zurück in das autogerechte Hannover der 1960er Jahre. Der demokratische Beteiligungsprozess vor dem aktuellen Innenstadtkonzept hat klar gezeigt, dass die Menschen das so auch nicht wollen. Auch die Vertretungen von Handel sowie Hotel- und Gaststättenwesen sehen darin keinen Mehrwert für ihr Geschäft, und nicht einmal der ADAC hält es für sinnvoll. Die intensiven Diskussionen in den Sozialen Medien ebenso wie die überregionale Berichterstattung zeigen unisono massive Kritik an den Plänen. Auch die Studienlage ist eindeutig: Innenstadthandel profitiert nicht von massenhaftem Autoverkehr, und wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Anreize für PKW- und Durchgangsverkehr in der City.
An dieser Stelle wollen und müssen wir erneut ins Gespräch gehen. Wir setzen darauf, dass auch die drei Fraktionen CDU, FDP, SPD sich nicht der wissenschaftlich belegten Studienlage, der Resonanz aus der Stadtgesellschaft, den Best-Practice-Beispielen und den klar geäußerten Vorstellungen von Handel, Gastronomie, Hotellerie und Bürger*innen verschließen. Es darf nicht sein, dass die ganze Stadt inklusive der zukünftigen Generationen unter einem rein machtpolitischen Motiv leiden muss.
Sinnvolle Unterteilung in drei Blöcke
Zusammenfassend: Wir sehen drei große Blöcke in dem Papier der informellen Koalition
- der Teil mit grundsätzlich konsensfähigen, sinnvollen Ideen
- der Teil mit den Forderungen, die bereits Verwaltungspraxis sind oder die von dieser bereits geprüft und wegen Undurchführbarkeit ad acta gelegt worden sind
- der Block mit der anachronistischen Verkehrsplanung, der den Wünschen der Menschen und den empirisch gewonnenen Erkenntnissen zuwiderläuft.
Fehlende Vision
Nach der intensiven Beschäftigung mit dem Papier von SPD, CDU und FDP bedauern wir einen weiteren Aspekt: Auch wenn sich der Antrag „Konzept Hannoversche Innenstadt“ nennt, fehlt ihm dennoch das, was ein Konzept eigentlich ausmacht. Ein Konzept ist ein strategischer Plan bzw. eine systematische Vorstellung, die die zukünftige Entwicklung und Gestaltung einer Innenstadt beschreibt. In diesem „Konzept“ fehlt jedoch die übergeordnete Vision, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen, wie unsere Stadt uns und die nächsten Generationen prägen soll und auf welches Zielbild wir gemeinsam als Stadtgesellschaft zugehen. So kommen zum Beispiel die Faktoren Parkplätze und Straßen ausführlich vor, aber kein Wort zu dem Raum für Jugendliche in unserer Stadt oder für diejenigen Menschen, die unsere Hilfe und gesellschaftliche Solidarität brauchen. Eine leider sehr traurig stimmende Auslassung, die wir vor allem von den sozialdemokratischen Genoss*innen anders erwartet haben
Was wir stattdessen finden, ist ein kleinstteiliges Paket von teils guten oder mittelguten, teils schlecht recherchierten und teils geradewegs kontraproduktiven Maßnahmen. Niemand hat etwas gegen weitere Trinkwasserspender oder mehr Mülltonnen in der City, aber diese Vorschläge machen eine Ideensammlung noch nicht zu einem Konzept. Daher stellen wir fest: Dieses „Konzept“ ist kein Konzept, weder für die gesamte City noch für die gesamte Stadtgesellschaft noch für eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft.
Aus diesem Grund behandeln wir die Einbringung der drei Fraktionen nicht als das, was auf seinem Deckblatt steht, sondern als das, was es ist: Eine an den Schreibtischen von SPD, CDU und FDP entstandene Loseblattsammlung, die nicht mit der Stadtgesellschaft rückgekoppelt ist. Zumindest einige der Maßnahmen dieses „Konzepts“ müssen sich daher den Vorwurf gefallen lassen, ein Beispiel für abgehobene und nicht menschennahe Kommunalpolitik zu sein.
Wir als Fraktion Grüne+Volt+Piraten schlagen konstruktiv vor: Wir setzen uns mit allen demokratischen Ratsfraktionen wieder an den Verhandlungstisch und finden einen sinnvollen Weg, wie wir die vorliegende Ideensammlung und das bestehende Innenstadtkonzept 2035 miteinander kombinieren. Die City, die Stadtgesellschaft, das Klima und wir alle werden davon profitieren.