Statement von Liam Harrold, Kulturpolitischer Sprecher:
Die Fakten liegen auf dem Tisch. Das Gemälde von Lovis Corinth von 1919, das sich seit 1949 im Besitz des Landesmuseums befindet, ist NS-Raubkunst. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass es der Familie von Max Levy gehört hat. Anstatt das Offensichtliche weiter hinauszuzögern, sollte die Stadt Hannover jetzt handeln. Eine Übergabe des Bildes ist nicht nur juristisch möglich, sie ist moralisch geboten.
Das geplante Schiedsgericht wird den Fall nicht schneller lösen, sondern auf unabsehbare Zeit verzögern – mit dem Risiko, Gerechtigkeit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Das widerspricht dem Geist der Washingtoner Erklärung und sendet ein fatales Signal an alle, die auf eine ernst gemeinte Aufarbeitung der NS-Raubkunst hoffen.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass in der Aufarbeitung gezielt nur jene Spuren verfolgt wurden, die zur eigenen These passen. So kann keine faire Bewertung stattfinden.
Ich fordere: Kein weiteres Hinauszögern und keine Scheinneutralität durch Gremien, die es bisher noch nicht einmal gibt. Die Stadt muss jetzt die Verantwortung übernehmen und das Bild zurückgeben. Das ist nicht nur eine Frage der Provenienz, sondern eine Frage politischer Glaubwürdigkeit.
Auf Basis meiner bisherigen Recherchen und Erkenntnisse mache ich folgende Ausführungen zu dem Fall:
- Obgleich prinzipiell die Anerkennung des Schiedsgerichts durch die LHH zu begrüßen ist, halte ich eine Anrufung in diesem konkreten Fall u.a. aus oben dargelegten Gründen für nicht notwendig und gar für kontraproduktiv im Sinne der Washingtoner Erklärung (→faire Lösung).
- Anstatt einer zeitlich langwierigen Anrufung des Schiedsgerichts (welches voraussichtlich sehr viele Fälle zu bearbeiten haben wird) ist eine im Einvernehmen mit den Anspruchsteller*innen zu berufene externe gutachterliche Expertise im Sinne eines PeerReview-Verfahrens der bisherigen städtischen Argumentation oder ein anderweitiger Einigungsprozess mit den Anspruchsteller*innen zu bevorzugen.
- Schließlich bleibt die Entscheidung der Restitution eine politische Entscheidung der Ratsgremien. Insofern sollte die Verwaltung zeitnah eine Beschlussdrucksache den zuständigen Ratsgremien (Kulturausschuss, Verwaltungsausschuss) zur Entscheidung vorlegen. Eine Restitution an die Anspruchsteller*innen sollte, auch aus moralischen Gründen und im Sinne der Washingtoner Prinzipien (→Indizienfall) zügig erfolgen.
- Zukünftig sollte eine bessere Trennung zwischen wissenschaftlicher Forschung und politischer sowie rechtlicher Bewertung von Provenienzfällen als Standard bei der LHH (vergleichbar mit anderen Kommunen und Kulturstiftungen/ Museen) etabliert werden.
- Insgesamt ist eine Stärkung der Provenienzforschung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ressourcen und Stellung innerhalb der Verwaltung dringend erforderlich. Dies werden wir an geeigneter Stelle in die Ratsgremien einbringen. Diese sind als Schlussfolgerung der folgenden Bewertung zu verstehen: Der Fall „Corinth/Levy“ bleibt aus wissenschaftlicher Sicht ein Indizienfall wie ihn die Washingtoner Erklärung durchaus berücksichtigt und Restitutionen auch in diesen Fällen für möglich erachtet.
Dieser Eindruck stützt sich unter anderem auf drei zentrale Punkte:
- Da seit 2009 ein Claim auf das Gemälde besteht, hätte die Forschung hierzu schon frühzeitig priorisiert werden müssen.
- Die Kommunikation, sowohl mit der die Anspruchsteller*innen vertretende Anwältin als auch mit der Ratspolitik und somit schließlich der Öffentlichkeit, hätte mit mehr Sorgfalt erfolgen müssen.
- Wenngleich u. a. die Akteneinsicht gezeigt hat, dass akribische Recherchen angestellt wurden, werden zentrale Fragestellungen nicht geklärt bzw. nicht nachgegangen. So entsteht der Eindruck, dass eine ergebnisoffene Forschung durch den wiederholten Versuch, eigene Thesen bestätigt zu sehen, erschwert wurde.
21. Juli 2025