Im Gespräch mit Jasmin Arbabian-Vogel „Warum die Petition zum Afd-Verbotsverfahren so wichtig ist“

Am 26. November wird im Niedersächsischen Landtag die gemeinsame Petition von uns Grünen und Aufstehen gegen Rassismus verhandelt. Sie fordert alle Mitglieder des Landtags auf, einen Antrag einzubringen, der die Landesregierung verpflichtet, sich auf Bundesebene für die sofortige Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens einzusetzen. Die Landesregierung soll hierzu aktiv das Gespräch mit der Bundesregierung suchen und auf ein entsprechendes Verfahren hinwirken.

Vor diesem Hintergrund sprach unsere Vorsitzende Monica Manon Sandhas mit Jasmin Arbabian-Vogel, geschäftsführende Gesellschafterin des Interkulturellen Sozialdienstes und engagierte Beirätin und Vorständin in zahlreichen regionalen und bundesweiten Organisationen. Arbabian-Vogel unterstützt die Petition nachdrücklich. 

Monica Manon Sandhas: Sie engagieren sich seit vielen Jahren für Integration, Vielfalt und Teilhabe. Warum unterstützen Sie diese Petition zum AfD-Verbotsverfahren?

Jasmin Arbabian-Vogel: Ich stamme aus einem Land, dessen Regierung ein Regime von Schrecken und Terror installiert hat und sich seit unfassbaren 46 Jahren an der Macht hält. Als Frau, die im Iran aufgewachsen ist, weiß ich wie es ist, in einer Diktatur zu leben. Wenn ich eines verinnerlicht habe, dann ist es der Leitsatz, dass Demokratie wehrhaft sein muss. Und das bedeutet für mich, dass sie keine falsche Toleranz zeigen darf gegenüber Menschen, Parteien und Organisationen, die nicht nur unsere Demokratie in Frage stellen, sondern unser gesamtes Werte-Gerüst. Wer unsere demokratische Grundordnung bekämpft und sie abschaffen will, steht nicht auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Die AfD und ihre Mitglieder sind Feinde unserer Verfassung und deshalb muss sie verboten werden. 

Monica Manon Sandhas: Viele Menschen spüren gerade, dass die Demokratie unter Druck steht. Wie erleben Sie das in Ihrem Alltag – als Unternehmerin und als Privatperson?

Jasmin Arbabian-Vogel: Ich erlebe, dass die Unsicherheit zunimmt. Besonders die Entwicklung in den USA zeigt, dass Demokratien – auch wenn sie seit Jahrhunderten bestehen – fragil sind und zerbrechen können. Und ich erlebe, dass dieser Prozess sehr schnell geht. Die Schnelligkeit, mit der Gewissheiten zerstört werden, macht mich genauso wie viele andere Menschen unsicher. Als Unternehmerin sehe ich überall eine große Zurückhaltung bei Investitionen, Neueinstellungen und beim mutigen Vorangehen. Wirtschaft ist zu 80% Psychologie. Und Zeiten der Ungewissheit sind für die Wirtschaft so etwas wie lähmendes Gift. Und als Privatperson sehe ich, wie das „Modell der offenen, liberalen Gesellschaft“ massiv unter Druck geraten ist. Die furchtbaren Debatten um Migration, um „wer gehört zu Deutschland und wer nicht“ und um das „Stadtbild“ verstärken ein Gefühl bei den Menschen, dass es ein „Wir“ und ein „die anderen“ gibt. Und das ist dann auch das Wesen einer Ausgrenzungsgesellschaft. Allein schon aus der Tatsache heraus, dass Deutschland schon einmal eine Ausgrenzungsgesellschaft war und aus dem Wissen heraus, welch zivilisatorische Katastrophe daraus resultierte, sollten wir als Land und als Gesellschaft alle Kraft dafür aufwenden, nie wieder eine Gesellschaft der Ausgrenzung zu sein.

Monica Manon Sandhas: Was war für Sie persönlich der Punkt, an dem Sie gesagt haben: Jetzt reicht’s, wir müssen etwas tun?

Jasmin Arbabian-Vogel: Ich lernte letztes Jahr eine jesidische Familie kennen. Sie sind integriert, sie sprechen Deutsch, einer ist Malermeister und wird bald den Betrieb seines Senior-Chefs übernehmen, einer hat sich mit einem Friseursalon selbständig gemacht, zwei Mädchen machen Ausbildungen als MTA und Physiotherapeutin und einer arbeitet als Recycling-Kraft in einem Abbruch-Unternehmen. Es sind fleißige, höfliche und tolle Menschen. Und nach und nach flattern die Abschiebungen herein. Es sind nicht mal Gründe angegeben. Einzig die Aufforderung, das Land zu verlassen. Das ist ein Irrsinn, denn sie sind integriert, zahlen Steuern, schaffen Arbeitsplätze und lieben dieses Land so sehr, dass sie den Weg an die Presse scheuen. Sie hoffen, dass das alles ein Irrtum ist. Das war der Moment, an dem mir klar wurde: die jetzige Regierung meint es sehr ernst mit der Bekämpfung des Stadtbildes. Aber eine Demokratie ist keine Demokratie mehr, wenn sie zwischen „wir“ und „die anderen“ unterscheidet. Eine Demokratie braucht ein „wir“, dass nicht an Bedingungen wie Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder Religion gekoppelt ist. 

Monica Manon Sandhas: Sie arbeiten tagtäglich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Welche Auswirkungen hat die Stimmung im Land, die durch rechtsextreme Parteien geschürt wird, auf Ihre Arbeit?

Jasmin Arbabian-Vogel: Im Sommer gab es ein Interview mit zwei Auszubildenden. Es sind liebe und fähige junge Frauen. Eine von ihnen hat afghanische Eltern und ist in Deutschland geboren, die andere stammt aus Guinea, beide sind das, was man „People of Colour“ nennt. Mir war nicht klar, mit welch massiven Anfeindungen sie täglich konfrontiert sind. Vom Anspucken in der Straßenbahn, Ablehnung bei Patienten, die sich von ihnen nicht versorgen lassen wollen, bis hin zu verbalen Attacken ist alles dabei. Die junge Frau mit afghanischen Wurzeln wäre gern deutsche Staatsbürgerin, aber der Antrag auf Einbürgerung liegt seit Jahren ergebnislos bei der Behörde. Und das Schlimmste ist: unsere Kolleg*innen berichten, dass sich das Klima verändert, dass es schlimmer wird in Deutschland. Der Blick in die Kommentarspalten der sozialen Medien bestätigt dieses Gefühl. Es wird kälter in Deutschland.

Monica Manon Sandhas: Wie kann Wirtschaft, insbesondere die Sozialwirtschaft, Haltung zeigen ohne parteipolitisch zu wirken, aber dennoch klar gegen Rassismus zu stehen?

Jasmin Arbabian-Vogel: Gegenfrage: warum sollte Wirtschaft nicht parteipolitisch agieren? Mir sind Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden empfehlen, SPD, CDU, FDP, Grüne oder meinetwegen auch kleinere demokratische Parteien wie die Piraten zu wählen lieber als jene, die sich heraushalten, weil sie meinen, dass eine Positionierung oder Empfehlung Teufelszeug ist. Das Gegenteil ist doch eigentlich der Fall. Ich habe meinen Mitarbeitenden zu den letzten Wahlen empfohlen erstens zu wählen, weil es ein Privileg ist, wählen zu dürfen und zweitens, unbedingt eine demokratische Partei zu wählen bzw. auf keinen Fall die AfD zu wählen. Und die gute Nachricht: ich war nicht die einzige Unternehmerin, die so gehandelt hat. 

Monica Manon Sandhas: Viele haben Angst, dass ein Verbotsverfahren scheitern könnte. Was entgegnen Sie denjenigen, die sagen: „Das bringt doch nichts“?

Jasmin Arbabian-Vogel: Denen würde ich erstens sagen, dass Aufgeben aus Angst vor dem Scheitern in etwa so klug ist wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Und zweitens würde ich mal behaupten, dass es bei einem AfD-Verbotsverfahren nicht um ein einziges Ergebnis geht – also um ein Verbot – sondern um ein weiteres Ergebnis: wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte über unsere Demokratie und über Mechanismen, um sie zu schützen und zu bewahren. Und genau zu diesem Ergebnis führt ein Verbotsantragsverfahren, und dies unabhängig davon, wie das Verfahren am Ende ausgeht. Dieser Diskurs ist absolut notwendig. Um es bildlich auszudrücken: wir müssen als Gesellschaft unseren Demokratie-„Muskel“ trainieren. Und dafür brauchen wir kein Fitness-Studio, sondern die breite Debatte.

Monica Manon Sandhas: Die Petition hat in nur drei Tagen die notwendige Anzahl an Unterschriften erreicht. Über 10.000 Menschen haben sie inzwischen unterstützt. Was sagt das Ihrer Meinung nach über die Stimmung in der Bevölkerung aus?

Jasmin Arbabian-Vogel: Das zeigt, dass das Ziel der Petition von einer breiten Masse an Menschen getragen wird und dass es ein Bedürfnis dafür gibt, ein Verbotsverfahren anzuschieben.

Monica Manon Sandhas: Wie wünschen Sie sich, dass die Landesregierung und der Bundesrat nun reagieren? 

Jasmin Arbabian-Voggel: Ich hoffe, dass unsere Landesregierung eine Vorreiterrolle einnimmt, sich zunächst zu einem Verbotsverfahren bekennt, im nächsten Schritt einen Fahrplan erarbeitet und im weiteren Schritt auf der Ebene von Politik und Zivilgesellschaft Allianzen schließt mit jenen, die diesen Weg mitgehen möchten. Und ich hoffe, dass unsere Landesregierung sich einer Sache bewusst ist: Wir sind die Mehrheit.

Mona Manon Sandhas: Wenn Sie eine Botschaft an alle richten könnten, die noch zögern, sich öffentlich gegen die AfD zu positionieren, was würden Sie sagen?

Jasmin Arbabian-Vogel: Ich würde sagen: Wenn Demokratien zerstört werden, dann nicht, weil sie mächtige Feinde haben, sondern weil ihre Freunde sich nicht entschieden genug für sie eingesetzt haben.

Mona Sandhas und Jasmin Arbabian-Vogel beim Gespräch
Mona Sandhas und Jasmin Arbabian-Vogel beim Gespräch